Boeing-Skandal: Whistleblower bringt CEO bei Anhörung in Bedrängnis

Boeing-Chef David Calhoun kam bei einer Anhörung im US-Senat in Erklärungsnot.

Der Flugzeugbauer Boeing steht seit Jahren in der Kritik. 2018 und 2019 stürzte je ein von der Firma produziertes Flugzeug des Typs 737 Max ab, insgesamt 346 Menschen kamen ums Leben. Die Unglücke wurden von Problemen mit einer Assistenzsoftware ausgelöst.

Nachdem alle Maschinen des betroffenen Flugzeugtypen fast zwei Jahre auf dem Boden bleiben mussten, um das Problem zu beheben, versprach Boeing eine Verbesserung der Qualitätskontrollen und eine grundlegende Veränderung der Sicherheitskultur. Negativ-Schlagzeilen hagelte es vor allem in den vergangenen Monaten trotzdem weiter: Eine Boeing-Maschine verlor ein Rad beim Start, eine andere landete mit einer abgerissenen Klappe am Rumpf.

Anfang Januar kam es dann zu einem aufsehenerregenden Beinahe-Unglück: Bei einer so gut wie neuen Maschine des Typs Boeing 737-9 Max mit mehr als 170 Menschen an Bord brach kurz nach dem Start ein Rumpfteil heraus. Die Unfallermittlungsbehörde NTSB geht davon aus, dass an dem herausgebrochenen Teil Befestigungsbolzen fehlten.

Wegen dieser gravierenden Vorwürfe musste sich der Chef des milliardenschweren Unternehmens, David Calhoun, am Dienstag erstmals bei einer Anhörung im Senats-Unterausschuss für Ermittlungen verantworten. Besonders die Aussagen eines neuen Whistleblowers brachten den 67-Jährigen in Bedrängnis.

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Boeing-Chef entschuldigt sich bei Angehörigen

Bei der Anhörung von Boeing-Chef Dave Calhoun und Howard McKenzie, Boeings Chefingenieur, waren zahlreiche Angehörige von Opfern der beiden Flugzeugabstürze anwesend; ebenso die Eltern des berühmten Whistleblowers John Barnett, der sich im März mutmaßlich aufgrund des Drucks der Boeing-Anwälte das Leben genommen hatte.

"Ich dränge dich so lange, bis du brichst", soll ein Vorgesetzter des damaligen Boeing-Mitarbeiters zu ihm gesagt haben, als dieser mit Berichten über Überlastung von Personal und mangelnder Wartung der Flugzeuge an die Öffentlichkeit gegangen war. Darüber berichtete unter anderem der "Spiegel".

Calhoun entschuldigte sich für das Leid, das seine Firma durch die beiden Abstürze zugefügt hatte. Er räumte ein: "MCAS (Anm. d. Red.: Name der Assistenzsoftware) und Boeing sind verantwortlich für diese Abstürze." Boeing lege im Gedenken an die Opfer einen verstärkten Fokus auf Sicherheit. Calhoun bestand darauf, dass seit den Unglücken alles unternommen wurde, damit so etwas nicht noch einmal passieren könne.

Whisteblower erhebt schwere Vorwürfe gegen Boeing

Dieser Darstellung widerspricht die Aussage des Qualitätsmanagers Sam Mohawk, der für die Überwachung der Produktion des Boeing-Sorgenkinds 737-Max in Seattle zuständig war. Der Whistleblower hatte bereits vor Calhouns Anhörung vor den Senatsleuten ausgepackt. Seine Aussage wurde jedoch erst am Dienstagmorgen in einem Bericht des Vorsitzenden des Senatsausschusses veröffentlicht, wie der "Spiegel" berichtete.

Demnach habe Mohwak erzählt, wie Mitarbeitende angewiesen worden waren, etwa 60 Flugzeugteile, die nicht kontrolliert oder sogar aussortiert wurden, wegzuräumen, als sich Inspektor:innen der US-Flugaufsichtsbehörde angekündigt hatten. Viele der unzulässigen Teile seien zurückgebracht worden, einige seien verloren gegangen, zitiert der "CNN" den Whistleblower.

Calhoun wandte sich bei seiner Anhörung an die Hinterbliebenen der zwei Abstürze.

Das Ganze soll sich erst vergangenen Sommer zugetragen haben. Als Grund für diese mutmaßliche Fälschung der Konformitätsnachweise führte Mohwak Materialknappheit an. Die Bauteile, die entweder aussortiert oder nach Anlieferung nicht auf Sicherheit kontrolliert worden waren, sollen geholfen haben, dass die Produktion der Maschinen weiter voranschreiten könne.

Der Whistleblower behauptete laut CNN außerdem, Boeing habe im August 2023 Mitarbeitende angewiesen, Aufzeichnungen über nicht konforme Teile zu löschen. Daraufhin habe er sich beschwert. Es seien jedoch die gleichen Personen mit der Aufklärung beauftragt worden, die ihn zu den Fälschungen aufgefordert hätten, so Mohawk.

Boeing-CEO hat Vorwürfen wenig entgegenzusetzen

Laut dem "Spiegel"-Bericht soll David Calhoun wenig souverän auf die Vorwürfe reagiert haben. Zu den Aussagen Mohwaks konnte er sich demnach nicht äußern, da auch er selbst erst am Morgen seiner Anhörung davon erfahren habe.

Genauso wenig wusste der Boeing-CEO, wie viele Mitarbeiter:innen seines Konzerns wegen Vergeltungsaktionen gegen Hinweisgeber:innen wie im Fall von John Barnett gefeuert wurden. Er beteuerte laut dem "Spiegel", dass es Kündigungen gegeben habe, Namen oder Zahlen konnte er jedoch nicht nennen.

Video: YouTube/Forbes Breaking News

Auch ob und wie viel Strafe seine Firma nach den beiden Abstürzen gezahlt hatte, ob Boeing dagegen versichert sei und ob sie die Kosten etwa von der Steuer absetzen konnten, wusste Calhoun nicht.

Sein Auftreten bei der Anhörung und die belastenden Whistleblower-Aussagen könnten schwerwiegende Folgen für das Unternehmen haben. Die Ermittlungen des Senats verlaufen parallel zu ähnlichen Untersuchungen durch die Flugaufsichtsbehörde und die Flugunfalluntersuchungsbehörde in den USA. Auch das Justizministerium berät, ob die Behörden ein neues Strafermittlungsverfahren wegen der zwei 737-Abstürze aufnehmen sollte.