Warum ich mit Smalltalk in Australien überfordert bin

Smalltalk ist eine Kunst: besonders für eine Deutsche in Australien, wie watson-Autorin Franziska Wohlfarth weiß.

Unsere Kollegin Franziska Wohlfarth hat bei watson gekündigt, weil sie nach Australien ausgewandert ist. Ganz weg ist sie aber nicht: In ihrer Kolumne "Die Auswanderin" berichtet sie einmal im Monat von ihren Erlebnissen aus Down Under.

"Und wie läuft Ihr Tag so?", fragt mich der Mann hinter der Kasse, als ich meine Tankfüllung und ein Pfirsich-Redbull bezahle. "Ähm...gut. Und Ihrer?" Meine Antwort ist zögerlich, der Tonfall skeptisch. Warum fragt mich dieser fremde Typ nach meinem Tag? Ich halte meine Karte an das Lesegerät, bis es piepst. "Ach geht so. Bin etwas müde heute, aber zum Glück hab ich bald Feierabend." Er reicht mir meinen Kassenzettel. "Na ja, schönen Tag Ihnen noch." Ich nicke lächelnd und verabschiede mich. Damit ist das Gespräch beendet. Meine Anspannung lässt nach und ein Gefühl der Erleichterung überkommt mich.

Diese harmlos erscheinende Konversation fand zu Beginn meiner Zeit in Australien statt und verfolgte mich noch Monate später. Es verwirrte mich, dass der Mann mich einfach so in ein Gespräch verwickelt hatte – ganz ohne Hintergedanken. Er wollte weder meine Nummer, noch Unterschriften sammeln oder mir irgendetwas andrehen. Er war einfach nur nett. Heute zähle ich die Situation zu einem meiner ersten Kulturschocks.

Smalltalk mit Fremden? In Deutschland eher untypisch

Smalltalk gehörte für mich in Deutschland nie zur Lebensrealität. Ganz im Gegenteil: Wer einfach so in der Öffentlichkeit Gespräche mit Fremden startet, wird komisch beäugt. Und das meist zu Recht, denn kaum jemand, der einen an der Tankstelle oder in der U-Bahn von der Seite anquatscht, hat irgendetwas Gutes zu erzählen.

"Deutsche sind nicht gut in Smalltalk – Australier:innen dafür umso besser."

Deutscher Smalltalk ist sich kopfschüttelnd und auf zwei Metern Distanz über irgendetwas zu beschweren, das gerade in unmittelbarer Umgebung passiert. "Hat der Zug schon wieder Verspätung? Typisch." Oder: "Warum machen die denn keine zweite Kasse auf?" Das sind beliebte Phrasen, die meist mit einem Seufzer und einem unverständlichen Nuscheln beantwortet werden. Wenn man dann doch irgendwie in eine ausführlichere Konversation hineingerät, ist die meist irgendwie unangenehm und erschreckend einseitig.

Australier sind gesprächig, Deutsche nicht

Deutsche sind nicht gut in Smalltalk – Australier:innen dafür umso besser. Insbesondere in Bars oder auf Events ist es total normal, in ein Gespräch mit Fremden verwickelt zu werden. Aus Deutschland bin ich es gewohnt, dass man weitestgehend innerhalb seiner eigenen sozialen Gruppe bleibt. Wenn es sich anbietet (oder man betrunken ist) streckt man vielleicht die Fühler aus und lernt neue Leute kennen, doch für mich persönlich war das bisher mehr die Ausnahme als die Regel.

Smalltalk mit Fremden gehört für viele Australier:innen zum Ausgehen dazu.

Umso überforderter bin ich deshalb jedes Mal, wenn meine australischen Freund:innen wie aus dem Nichts ein Gespräch mit Fremden anfangen. Neulich war ich auf einer Party, als ein Kumpel von mir auf einmal verkündete: "Komm, wir suchen uns ein paar Freunde." Als Deutsche widerstrebte es mir, mich einfach so unbekannten Leuten aufzudrängen, doch bevor ich etwas sagen konnte, stellte er sich willkürlich zu einer Gruppe, hakte sich in ihr Gespräch ein und schon hatte sich unser Kreis erweitert. Und dabei gab es keine komischen Blicke, betretenes Schweigen oder abweisende Körperhaltungen. Stattdessen freuten sich Leute über unsere Anwesenheit und den oberflächlichen Kontakt.

Ähnlich gesprächig geht es auch beim Einkaufen zu:Man muss nur einen Fuß in einen Supermarkt setzen und schon wird sich nach seinem Wohlergehen erkundigt. "Hi, how are you?" oder ein genuscheltes "How ya goin'?" sind sehr beliebte Begrüßungsfloskeln, die einen direkt in ein kurzes Gespräch verwickeln. Zwar wird hierbei nicht erwartet, dass man der Kassiererin von seiner Scheidung oder dem Stress auf der Arbeit erzählt, aber ein kurzes "I'm good, how are you?", ist dennoch angemessen.

Ein kurzer Tratsch an der Kasse ist in Australien total normal.

"Einkaufen ist schon so anstrengend genug, da brauche ich nicht auch noch den zusätzlichen Druck sozialer Interaktionen."

Das ist mir zwar deutlich lieber als der deutsche Aldi-Verkäufer, der seine Augen verdreht, weil ich meine Hafermilch nicht schnell genug einpacke, doch nichtsdestotrotz erledige ich meine Einkäufe inzwischen lieber an der Selbstbedienungskasse – mit der muss ich mich zumindest nicht unterhalten. Denn als introvertierte Person finde ich Smalltalk und Plattitüden oftmals sehr mühsam. Einkaufen ist schon so anstrengend genug, da brauche ich nicht auch noch den zusätzlichen Druck sozialer Interaktionen.

Hilfsbereitschaft wird in Australien großgeschrieben

Doch die Redefreudigkeit der Australier:innen kann auch viele Vorteile haben.Denn da man hier keine Angst davor hat, ein Gespräch mit Fremden anzufangen, zögert hier auch keiner, Hilfe anzubieten.

Hier mal ein Beispiel: Ich war neulich an einer Raststätte und habe meinen Reifendruck überprüft. Da ich nicht allzu vertraut mit dem Messgerät war, hantierte ich zunächst etwas planlos mit dem Schlauch rum und der Prozess dauerte allgemein peinlich lange. Während ich "wie überprüft man den Reifendruck?" in mein Handy tippte, reihte sich bereits das nächste Auto hinter mir in die Schlange ein.

Nach ein paar Minuten stieg eine Frau der Boomer-Generation aus ihrem Fahrzeug aus und ich machte mich emotional bereits auf eine Schimpftirade gefasst. Im Kopf legte ich mir Antworten auf eine Welle an passiv-aggressiven Fragen zurecht, die jeden Moment auf mich einbrechen würde. Umso überraschter war ich, als die Fremde mit lächelnder Miene, statt grimmigem Gesicht auf mich zukam und mir ihre Hilfe anbot. "Wir Frauen müssen einander doch unterstützen", sagte sie während sie mir den Unterschied zwischen Bar und PSI erklärte.

Wer ratlos am Straßenrand steht, bekommt in Australien schnell Hilfe angeboten.

Und dieses Vorkommnis ist kein Einzelfall. Immer wieder beschwöre ich hilfsbereite Australier:innen herauf, indem ich einfach nur verwirrt in der Gegend herumgucke. Auf diese Weise habe ich schon herausgefunden, wie ich die Motorhaube meines Autos aufmache, ein Dachzelt aufbaue oder eine Spinne aus meinem Schuh entferne.

Smalltalk ist gewöhnungsbedürftig, aber nicht verkehrt

Ich habe Australier:innen während meiner Zeit in Down Under also im Allgemeinen als sehr offen, freundlich und hilfsbereit wahrgenommen. Wobei man hierbei natürlich beachten muss, dass meine Erfahrung als weiße, normschöne Frau sehr subjektiv und privilegiert ist.

Und auch wenn ich mich über den gelegentlichen Smalltalk und die oberflächlichen Bekanntschaften freue, habe ich mich an das Sozialverhalten der Australier:innen bis heute nicht so richtig gewöhnt. Ich bin weiterhin skeptisch, wenn Leute an der Tankstelle sich nach meinem Tag erkundigen und auf Partys weigere ich mich weiterhin, mich ungefragt einer Gruppe Fremder anzuschließen.

Denn ganz ehrlich: Manchmal möchte ich mit niemandem sprechen, sondern einfach nur in Ruhe gelassen werden.

(fw)